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Intel und Mobileye

Das autonome Fahrzeug soll niemals einen Unfall verschulden

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Das autonome Fahrzeug soll niemals einen Unfall verschulden
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Wer ist verantwortlich für einen Unfall, der durch ein autonomes Fahrzeug ausgelöst wird? Eine Frage, die es zu klären gilt, bevor der Mensch die Hände tatsächlich vom Lenkrad nehmen und sich während der Fahrt anderen Dingen widmen kann. Eine belastbare Antwort konnte bislang niemand liefern, doch Intel und Mobileye wollen nun die scheinbar ultimative Lösung gefunden haben.

Die wirkt zunächst überraschend einfach, aber dennoch auch extrem ehrgeizig. Denn autonome Fahrzeuge sollen schlicht in die Lage versetzt werden, niemals einen Unfall zu verschulden und so der Frage nach Verantwortung und Haftung elegant umgehen.

Dahinter steckt jedoch eine äußerst komplexe Formel, die Mobileye-CEO Amnon Shashua und Shai Shalev-Shwartz entwickelt haben und als Responsibility Sensitive Safety (RSS) bezeichnen.

Die Ausgangsfrage war laut Shashua, wie man das Zusammenspiel von autonomen Fahrzeugen und von Menschen gesteuerten Fahrzeugen sicherer und vor allem rechtlich eindeutig geregelt gestalten könne. Denn zumindest in den ersten Jahren nach dem Start echter autonomer Fahrzeuge wird es beide Systeme auf den Straßen geben. Dabei seien Probleme nach aktuellen Stand nicht zu vermeiden. Denn Unfälle können nicht ausgeschlossen werden, die Ermittlung der Schuldfrage könnte Wochen in Anspruch nehmen.

Mit RSS will man aber einen Ausweg bieten. Die Formel soll es autonomen Fahrzeugen unmöglich machen, einen Unfall zu verschulden. Dabei setzt man auf zwei Aspekte: Einen sicheren Zustand (safe state) und das maximal Erlaubte (Default Emergency Policy), um einen solchen Zustand zu erreichen.

Den safe state definiert Shashua in seiner Veröffentlichung und einer auf der Intel-Homepage verlinkten Zusammenfassung als einen Zustand, in dem das autonome Fahrzeug aufgrund von Abstand zum Vordermann, Geschwindigkeit und anderen Faktoren keinen Unfall verschulden kann.

Die Default Emergency Policy beschreibt der Mobileye-CEO hingegen als komplexe Berechnung auf Basis diverser Parameter, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen. Die lateralen Faktoren sind Dinge wie das Ziel des Systems in der Mitte einer bestimmten Fahrspur unterwegs zu sein. Hinzu kommen die longitudinalen Faktoren, darunter Aspekte wie „Mein Ziel ist es, hinter einem bestimmten Fahrzeug mit dessen Geschwindigkeit und einem Abstand von zwei Sekunden zu fahren" unter Berücksichtigung weiterer Entscheidungen („Mein Ziel ist es, mit 110 % der erlaubten Geschwindigkeit zu fahren", „Mein Ziel ist es, am Stopp-Schild eine Geschwindigkeit von 0 zu erreichen"). Für alle Parameter müsse zudem der maximale Level festgelegt werden, mit dem das Ziel erreicht werden darf - definiert als maximale Beschleunigung und Verzögerung.

Schon bei nur wenigen von Menschen gesteuerten Fahrzeugen in der unmittelbaren Umgebung, vier Fahrspuren, einer lediglich zehnstufigen Geschwindigkeitsvorgabe sowie drei Maximalwerten und einer Reaktionszeit von 100 ms ist schnell eine achtstellige Zahl an Berechnungen pro Sekunde nötig. Dabei, so Shashua, würde allerdings noch nicht einmal berücksichtigt, dass die Tragweite der Entscheidung eine Rolle spielt. Denn ein Ergebnis, bzw. eine Entscheidung, die das unmittelbare Erreichen eines sicheren Zustands ermöglicht, kann in der nächsten Sekunden die richtige sein -  zwei Sekunden später kann es sich jedoch schon als falsche Wahl entpuppen.

Ein Beispiel: Das Wechseln der Fahrspur kann die richtige Reaktion auf ein Bremsmanöver des Vordermanns sein, allerdings in einem vom autonomen Fahrzeug verursachten Unfall münden, wenn ein von hinten auf der Zielspur nahendes Fahrzeug nicht mehr reagieren kann.

Entsprechend müssten weit mehr Berechnungen auf Basis verschiedener Informationen erfolgen, was die Berechnung der Responsibility Sensitive Safety so komplex mache. Am Ende soll es sogar möglich sein, Unfälle mit plötzlich auf die Straße laufenden Personen zu verhindern - einfach, indem die Geschwindigkeit soweit herabgesetzt wird, dass rechtzeitig gebremst werden kann.

Amnon Shashua und Shai Shalev-Shwartz zufolge lohnt sich die Arbeit aber. Denn nur wenn man den Menschen die Unsicherheit bezüglich der Schuld und Haftung nehmen kann, würden diese autonome Fahrzeug auch nutzen wollen.

Insofern könnte die Responsibility Sensitive Safety eine wichtige Ergänzung dessen sein, was die Bundesregierung im August als Ethik-Regeln für autonomes Fahren vorgestellt hat. Diese Regeln sollen bestimmte Grundaspekte regeln, darunter der Punkt, dass Menschen wichtiger als Fahrzeuge oder andere Gegenstände sind.